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Gesellschaftliche Ungleichheit als wachsendes Problem | (c) dia-eu |
Der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty hat ein Ungleichheitsbuch geschrieben, das gerade für Europa historisch brisante Schlussfolgerungen zieht. Nicht zu unrecht wird das preisgekrönte Werk als »Epochenwerk, das die Geschichte der Einkommensverteilung neu vermessen hat« gelobt (Hartmut Kaelble: Rezension zu: Piketty, Thomas: Das Kapital im 21. Jahrhundert. München 2014, in: H-Soz-Kult, 04.03.2015, <
http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-22840>).
In der gleichen Rezension wird ebenfalls zu recht auf Lücken verwiesen, die das Buch bei der Betrachtung der sozialen Ungleichheit aufweist. Meine Wahrnehmung ist, dass Europa von wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit gekennzeichnet ist, die sich in sogar noch mehr Dimensionen und Verästelungen zeigt.
Die ökonomische Ungleichheit ist wohl am ehesten die Sparte der Ungleichheit, die Piketty mit seiner Konzentration auf die Superreichen im Blick hat. Vermögensfrage kann für mich gleichzeitig bedeuten: Vermag ich es noch, mir mit meinem Einkommen, meinem Vermögen, meinen Sozialtransfer-Fähigkeiten zum Beispiel Wohnraum zu sichern? Die vielen obdachlosen Menschen in europäischen Städten geben in gewisser Weise Antwort auf diese Frage.
Soziale Ungleichheit ist nicht nur die Beobachtung, dass ein Umbau der europäischen Wohlfahrtsstaaten nach dem Modell Hartz IV Menschen in verschiedenen sozialen Schichten auseinander bewegt und sich eine ungeahnte Armutsdynamik entfaltet. Auch Bildung beziehungsweise Nicht-Bildung ist Teil dieser sozialen Dimension.
Hier zeigt sich, wie gerade in Deutschland verschiedene Verästelungen gesellschaftlicher Ungleichheit beieinander liegen. Denn es hat viel mit sozialer Schichtung und gleichzeitig viel mit verschiedenen Bildungskulturen zu tun, dass einige Gruppen in unserer Gesellschaft beispielsweise Digitalisierung als Chance nutzen, andere hingegen in Gefahr sind, abgehängt zu werden.
Politische Ungleichheit schlägt schließlich den Bogen zum letzten Eintrag und den wutbürgerhaften Pegida-Anhängern. Europäisierung beispielsweise wird im politischen Raum sehr verschieden, quasi ungleich, gedeutet: Die einen möchten die immer engere Union verwirklichen und sind Verteidiger des europäischen Projektes, die anderen sehen ebendieses Projekt als Ausdruck der ohnmächtig machenden, abgehobenen Elitenpolitik und wenden sich resigniert ab oder suchen sich aggressive Anti-Europa-Kanäle.
Die verschiedenen Dimensionen der Ungleichheit auf allen Ebenen, von global bis lokal, zu bekämpfen, erscheint mir eine der Mammutaufgaben des 21. Jahrhunderts zu sein.