2014/11/27

Robert Harris: Fatherland (1993)

The year 2014 is of course the remembrance year of countless real events in connection with the beginning of the really dark Europe: World War I (100 years) and World War II (75 years). But I will not remind anybody of real events, but of the contra-factual idea that the British author Robert Harris brought to live in his 1993 novel Fatherland. The action takes place in a very different Berlin 1964, so 50 years before our actual reality. Example of a news bit cited in one of the introductory sections of the novel:
Herbert von Karajan to conduct a special performance of Beethoven’s Ninth Symphony – the European anthem – at the Royal Albert Hall in London on the Führer’s birthday.
It is a European dystopia that is unfolded bit by bit while a German police officer of the criminal police investigates in a series of murders that are connected to highest circles in the German Reich which has more or less won World War II in Europe: The European Community is in existence, consisting of twelve European nations under the domination of Germany. Albert Speer’s Berlin has been built, including a European Parliament on one of the gigantic axis. The flag with the swastika in front of this Parliament is twice as big as the one of the rest of the sattelite states.
It is pretty clear that Harris just did not like the idea of European integration very much when he wrote this detective story with a political message. Even if one likes European integration, the story still leaves an impression. I kept thinking in the process of reading that the author and the cover editor of some editions took it a little to far with the integration bashing. But I have to admit that it is quite fun for those who are vulnerable to the question: »What if...«
I got the message... | en.wikipedia.org

I will not be a spoiler, if you are one of those people intrigued by contra-factual history, you should read for yourself. But I will be a typical historian: Some of the facts and details that Robert Harris brought together some 20 years ago (he is using original documents and historical persons partly) seem to be researched rather quickly and without much accuracy.
In a time when the European integration utopia style is still oftentimes believed to be irreversible, it might be a good idea to look in this very British dark Europe to be reminded that everything human might turn out a whole lot different than the original idea.

2014/10/31

Alt und neu


BOZAR (c) dia.eu

Mit dem ersten November heißt es nun auch in der EU: Der König ist tot, es lebe der König! Interessante Vorstellung, dass die Machtfülle des europäischen Königsersatzes (mit Kommissionspräsident ist der Satz nicht halb so schön) mit dem Ablauf des Oktobers mit quasi Überlichtgeschwindigkeit auf den Neuen, Jean-Claude Juncker, übergeht.
Der Alte, José Manuel Barroso, hat sich am 28. Oktober noch mit einem Buch ein Denkmal fürs Regalbrett gesetzt. Im eindrucksvollen Konzertsaal des BOZAR in Brüssel wurde The Mind and Body of Europe: A New Narrative mit Gespräch, Musik und Sozialnetzwerkpräsentation vorgestellt. Zum Schluss kam dann auch der scheidende König selbst dran. Obwohl er in seiner enthusiastischen Verteidigung des guten alten Buches betonte, dass Politik nur Mittel zum Zweck sei, nahmen sicherlich nicht alle ihm diese Beteuerung ab. Wenn es schon dem kleinen Menschen oft schwerfällt, warum soll es den Großkopfigen anders gehen. Manchmal erinnert uns auch die Architektur daran, dass wir alle kleine Wesen unter den gleichen Gestirnen sind. Ich finde, dass es bei dem Schnappschuss von Barroso vor der Kampagnengrafik New Narrative for Europe und unter dem Konzertsaal-Himmelszelt sichtbar wird. 

2014/09/30

Nicht unterschätzen: die Europäische Ombudsperson

Anlässlich einer Veranstaltung, die am 8.9.2014 vom Brüsseler Büros des Österreichischen Gewerkschaftsbundes zum Thema »Wer berät die Kommission?« veranstaltet wurde, lohnt es sich, ein oft vergessenes Organ der Europäischen Union genauer zu betrachten: die Europäische Ombudsperson, derzeit eine Europäische Ombudsfrau, die Irin Emily O'Reilly. In der Veranstaltung wurde ein aktuelles Projekt der Beschwerde- und Überwachungsinstanz von ihrer Koordinatorin für Konsultationen, Rosita Agnew, mit diskutiert: eine gerade in der Auswertungsphase befindliche Konsultation zu den Gruppen von Experten und Expertinnen, welche die Generaldirektionen der Kommission in vielerlei Hinsicht beraten.
Andere Themen, welche das Podium, bestehend aus Ska Keller, Europaparlaments-Abgeordnete der Grünen, Patrick Itschert, stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes und Pascoe Sabido, Corporate Europe Observatory diskutierte, waren: Die Möglichkeit des Europäischen Parlaments, 2015 wieder einen Teil des Budgets für diese Gruppen einzufrieren. Das Zivilgesellschaftskonzept, welches hinter der Beteiligung der Expertise-Gruppen steht. Und schließlich die Tatsache, dass auch die Stadt Brüssel und das geänderte Prozedere beim Wechsel in die Kommission für berufserfahrene Personen ihren Beitrag zur unguten Melange rund um die Frage leisten, wer denn nun die Kommission berät.
Aber zurück zur Europäischen Ombudsperson. Sie ist sicherlich nicht das mächtigste EU-Organ und doch ist sie in meinen Augen doch eines der Werkzeuge, mit denen Europa mehr Bürgerbeteiligung auf seine Fahnen schreiben kann. 2015 wird die Person für den Leitungsposten dieses im Vergleich sehr kleinen Büros (80 Mitarbeitende) für die nächste Amtszeit gewählt werden. Die Spannung steigt also. Am 15. September wurde verkündet, dass die Wahl während der Januarsitzung des Europäischen Parlaments (12.-15. Januar 2015) stattfinden soll. Ganz nebenbei: Für einen deutschen Muttersprachler war es bei der Diskussion eigenartig, immer wieder vom "ombudsman" zu hören, im Englischen ist es wohl (noch) kein sprachliches Problem, einen Posten mit "man" enden zu lassen und dann auch eine Frau auf diesem Posten so anzusprechen.
Frau O'Reilly wird - ob als ombudsman oder als Ombudsperson - im Rahmen des umstrittenen EU-US-Handelsabkommens Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) noch an Gewicht gewinnen. Sie hat bereits eine öffentliche Konsultation zu den TTIP-Verhandlungen auf den Weg gebracht und kann den Handelskommissar zumindest weiter befragen, falls ihre Anfragen nicht zufriedenstellend beantwortet werden.
Das TTIP schafft es sogar schon auf Brüsseler Brückenwände (c) dia-eu

2014/08/30

Besuch im Parlamentarium des Europa-Parlaments

Wenn man einen Wegweiser vor den Kamera-Sucher bekommt, auf dem die Entfernung nach Brüssel mit 0 km angegeben wird, dann kann es sein, dass man sich im Parlamentarium in der Hauptstadt Europas befindet.

Wegweiser-Installation im Eingangsbereich des Parlamentariums | (c) dia-eu
Das Besucherzentrum des Europäischen Parlaments befindet sich in einem Teil des leicht gigantomanischen Brüsseler Komplexes, der aus Sitzungssälen, Büros und Verwaltungseinheiten besteht. Der Gebäudeteil heißt »Willy Brandt«. Der Namensgeber hat vor den Europa-Parlamentariern deklamiert: »Es gehört uns allen, dieses Europa.« Auch im Parlamentarium sollte für alle etwas dabei sein, das hat sich das demokratischste Organ der EU einiges kosten lassen.
Was ich aus meiner persönlichen Sicht notiert habe:
  • generell betont das Besucherzentrum stark die vermeintlichen Verdienste und Guttaten des Europäischen Parlaments (das kann man sich auch vorher ausrechnen, denn wer viel investiert um sich zu präsentieren, will dann nicht ellenlange Rechnungen der Transportkosten zwischen Brüssel und Straßburg zum hundertausendsten Mal diskutieren)
  • alles ist museums-/ausstellungspädagogisch so gemacht, wie man es heute wohl macht, also multimedial, individualisiert und modular (für mich geht dabei immer ein wenig der rote Faden flöten, der Wunsch nach einem solchen ist im Ausstellungskontext vielleicht nicht mehr so zeitgemäß)
  • die verschiedenen Erzählstränge bauen auch auf Emotion und Anfassen, nachdem man einen historischen Teil passiert hat, kann man beispielsweise mit mobilen Monitorscannern auf einer riesigen Europakarte herumfahren. Hält man auf einem Eintrag auf der Karte an, sagen wir: Bremen, kann man sich ein Filmchen anschauen, welches Stadt und europäische Projekte verknüpft, im konkreten Fall den EU-Filmpreis LUX und ein teilweise in Bremen produzierter Preisträger-Film.
  • gefallen hat mir auch der Endbereich des Parlamentariums mit einem Café, einem Laden und Platz für ein wenig Wechselausstellung (derzeit: »Museum of Broken Relationships«, www.brokenships.com).
Da das Ganze kostenlos ist, lohnt sich für ein Besuch für alle, wie Willy sagen würde (wobei man am Eingang durch eine Sicherheitsschleuse hindurch muss).
Adresse & aktuelle Öffnungszeiten
Parlamentarium
Bâtiment Willy Brandt
Esplanade Solidarnosc 1980
Rue Wiertz 60
1047 Bruxelles
www.europarl.europa.eu/parlamentarium

Mo: 13-18h
Di-Fr: 9-18h
Sa-So: 10-18h

2014/07/31

CO2-Kompensationsanbieter in Europa

Als Kind habe ich mir vorgestellt, es würde in der Zukunft sehr schnelle Züge in Europa geben. Züge, die nicht im Bahnhof anhalten müssen und deren Waggons jeweils einzeln auf die Basisgeschwindigkeit beschleunigt werden. Ein Kindertraum – die Realität zeigt eher einen wachsenden Binnenflugverkehr in Europa. Was macht man also mit seinem stetig wachsenden CO₂-Fußabdruck?
2010 berichtete die Wochenzeitung »Die Zeit«, dass die von Fluggesellschaften angebotenen CO₂-Kompensationen oft nicht gängige Qualitätsstandards erfüllten (http://www.zeit.de/reisen/2010-08/co2-kompensation). Grundlage war ein Bericht von Verbraucherschützern (http://www.verbraucherfuersklima.de/cps/rde/xbcr/projektklima/kompensation-flugreisen-marktcheck-vzbv-zusammenfassung.pdf). Artikel und Bericht können nur drei Anbieter uneingeschränkt empfehlen, was auch damit zusammenhängt, dass eine Voraussetzung für die Aufnahme in die Marktanalyse war, dass die Internetseiten im deutschen Markt »vertreten« sind, indem sie beispielsweise eine deutschsprachige Seite anbieten.
Hilfreich sind bei solchem modernen Ablasshandel konkrete Beispiele. Nimmt man einen aus meiner naiven Kindersicht unnötigen Flug wie Berlin-Brüssel, gibt die erstgenannte Kompensationsseite www.arktik.de 252,50 kg CO₂ 8,30 € Kompensationskosten aus (inklusive eines sogenannten »Mindermengenaufschlags« von 3,00 €). Der Schweizer Anbieter www.myclimate.org errechnet 170 kg CO₂ und bietet dafür entweder das Portfolio myclimate für 5,00 CHF oder das Portfolio myclimate Schweiz für 15,00 CHF mit Klimaprojekten auch in der Schweiz an. Der Anbieter Atmosfair (www.atmosfair.de) mit Sitz in Berlin berechnet 6,00 € für 170 kg CO₂.
Schaut man ein wenig über den deutschen Tellerrand hinaus, dann werden bei einem britischen Anbieter, www.carbonfootprint.com, lediglich 105 kg CO₂ berechnet, auch hier gibt es allerdings eine Mindestmenge von 333 kg, die im Portfolio Clean Energy mit 3,27 € – unter dem Motto Certified Emission Reduction mit 4,14 € – zu Buche schlägt.
www.climatmundi.fr, ein französischer Anbieter, errechnet für Berlin-Brüssel 150 kg CO₂ und dies kostet 2,92 € einschließlich Steuern.
Bildschirmdruck www.atmosfair.de | (c) dia-eu
Das vorläufige Ende der Geschichte war eine Bauchentscheidung: Ich habe mich für Atmosfair entschieden und dort weitergeklickt, mein Bauchgefühl wurde mit einer Spendenmöglichkeit ohne Angabe von zusätzlichen persönlichen Daten und einer Bankverbindung bei der GLS Bank, von der ich viel halte (www.gls.de), belohnt.

2014/06/30

Familienpolitik – auch in der EU ein Thema

Handzettel Diskussion »Kann Kirche Familienpolitik« (c) region-c.de
Bei einer Diskussion zum Thema »Kann Kirche Familienpolitik« vor etwas mehr als drei Wochen (siehe Handzettel-Datei) thematisierte Sven Iversen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF), auch seine Arbeit für COFACE (Confederation of Family Organisations in the European Union, ein Zusammenschluss der Familienorganisationen in der Europäischen Union, http://www.coface-eu.org).

Da im Allgemeinen Europapolitik nicht mit Familienpolitik assoziiert wird (nicht immer zu Recht, siehe dia-eu.blogspot.com/2014/02), seien einige der andiskutierten Punkte hier aufgeführt:

Vor dem Hintergrund der enormen Mobilisierung in Frankreich rund um das Thema »Homo-Ehe« und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare wies Iversen darauf hin, dass in Deutschland die familienpolitischen Positionen der beiden großen Kirchen und der nicht-konfessionellen Familienverbände im europäischen Vergleich recht nah beieinander seien. Innerhalb von COFACE stellten sich die deutschen Mitglieder insgesamt eher als liberal-progressiv dar. Während der Hochzeit der Auseinandersetzung in Frankreich konservative französische Mitglieder ihren Gegnern in der öffentlichen Debatte innerhalb (!) der COFACE unversöhnlich gegenüber gestanden hätten.

Im gleichen Atemzug lobte der Geschäftsführer der AGF allerdings auch die generelle Familienpolitik in Frankreich - die französischen Regierungen hätten Vieles richtig gemacht, was in Deutschland nun erst langsam vom Denken in das Handeln übergehen würde. In meinen Augen ein entscheidender Hinweis: Es ist das eine, eine gleichberechtigte Familienpolitik auch auf europäischer Ebene voranzutreiben und etwas anderes, wie sich die Europäer dann sozialwissenschaftlich erfassbar verhalten. Und ich schreibe jetzt ganz bewusst »die Europäer«.

2014/05/23

Kirche im Dorf lassen oder Europa ohne Kirche lassen?

In den Niederlanden und Großbritannien wurde heute bereits ein Teil der zukünftigen Besetzung des Europäischen Parlaments gewählt - vermutlich viele Mitglieder aus dem populistischen und euroskeptischen Bereich. Bevor auch in Deutschland gewählt werden kann, lohnt es sich einmal in kirchliche Publikationen zu schauen, was diese von den zur Wahl stehenden Parteien im Hinblick auf kirchenpolitische Positionen halten. Die Zeitung Die Kirche stellt fest, dass die Kirche auf europäischer Ebene kaum eine Rolle spielt. Der Kommentator führt das auf die unterschiedlichen Traditionen von skandinavischen und deutschen staatsnahen Kirchen bis zur strengen Laizität in Frankreich zurück (http://www.die-kirche.de/artikel-details/europawahl-welche-rolle-spielt-die-kirche).
In der Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland, der aej information, wird dafür plädiert, sich in Kirche und Zivilgesellschaft für Europa und damit gegen Extremisten und Rechtspopulisten zu engagieren. Dazu solle man nicht »auf eine Einladung aus Brüssel warten«, sondern sich aus eigenem Antrieb in die Diskussionen einschalten (http://www.evangelische-jugend.de/fileadmin/user_upload/aej/Die_aej/Downloads/Publikationen/PDF-Ausgaben/aej_information_1-2014.pdf).
Europa aus Kirchensicht – (c) dia-eu
Schließlich sei noch Christ und Welt zitiert, also das, was von dem einst so stolzen Flagschiff katholischer Publizistik Rheinischer Merkur nach der Übernahme durch Die Zeit noch übrig ist. Die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland antwortet einer anonymen Zuschrift, die Europa als gegen christliche Werte gerichteten Moloch skizziert. Es sei Zeit für mehr Europa und die europäischen Kirchen sollten die europäischen Werte aus Christentum und Aufklärung aus ihren eignen Traditionen heraus verteidigen (http://www.christundwelt.de/themen/detail/artikel/mehr-europa/).
Ich kann dem nur zustimmen, wobei es gut wäre, die Kirche im Dorf zu lassen und gleichzeitig ein wenig der Kooperations-Tradition in den Prozess der europäischen Integration einzuspeisen. Also: Europa nicht ohne Kirche lassen!