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2015/04/22

Widerstand der Generation Made in Europe

Es war mal wieder Montag, es war mal wieder Dresden: es hat mich (wieder) geärgert, dass das Dresdener Lokalproblem mit dem surrealen Titel Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes zehntausend Leute zusammemgekriegt hat. Die Leute, die da mit Kreuzen und Deutschlandflaggen unterwegs sind, sollten mal bei Vanessa Conzes Das Europa der Deutschen nachschauen, welche unheiligen Geister sie wecken (http://hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-6814). Diesmal kam zu der Lokalproblem-Komponente eine negative Europäisierungsdynamik hinzu, denn Geert Wilders von der niederländischen Partij voor de Vrijheit hielt eine Ansprache in dem pittoresken Städtchen. Daran kann man sehen, wieviel Druck gerade in Teilen der deutschen Gesellschaft (sind die noch ganz bei Trost?) auf dem Kessel mit der Aufschrift Ethnozentrismus/Populismus/Fundamentalismus ist. In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde 2013 schön gezeigt, welche Typen von Rechtsextremismus es in der Europäischen Union so alles zu bekämpfen gilt (http://www.fes.de/cgi-bin/gbv.cgi?id=10030&ty=pdf). Was diesen Kampf angeht, hoffe ich auf die Generation, die nichts anderes als die politisierte Post-Maastricht, die West-Ost-Nord-Süd Post-Helsinki Europäische Union kennengelernt hat. Angelehnt an ein Souvenir aus dem Parlamentarium in Brüssel nenne ich sie Generation Made in Europe. Ich selbst bin nicht nur noch Generation Made in Germany, nein sogar Generation Made in West-Germany. Meine Großväter und Vätergeneration hat auch und gerade um die Öffentlichkeit gekämpft, um das europäische Projekt aufs Gleis zu bringen, meine Generation kennt die Völkerverständigung in Europa vor allem aus den Geschichtsbüchern und es könnte sein, dass die nächste Generation Widerstand leisten muss, damit die europäische Integration am Ende dieses Jahrhunderts nicht nur noch in den historischen Meistererzählungen vorkommt. Generation Made in Europe leiste Widerstand! Um zum Schluss gegen all diese Möchtgern-christlichen-Abendländer Dietrich Bonnhöffer zu zitieren: Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.

2014/10/31

Alt und neu


BOZAR (c) dia.eu

Mit dem ersten November heißt es nun auch in der EU: Der König ist tot, es lebe der König! Interessante Vorstellung, dass die Machtfülle des europäischen Königsersatzes (mit Kommissionspräsident ist der Satz nicht halb so schön) mit dem Ablauf des Oktobers mit quasi Überlichtgeschwindigkeit auf den Neuen, Jean-Claude Juncker, übergeht.
Der Alte, José Manuel Barroso, hat sich am 28. Oktober noch mit einem Buch ein Denkmal fürs Regalbrett gesetzt. Im eindrucksvollen Konzertsaal des BOZAR in Brüssel wurde The Mind and Body of Europe: A New Narrative mit Gespräch, Musik und Sozialnetzwerkpräsentation vorgestellt. Zum Schluss kam dann auch der scheidende König selbst dran. Obwohl er in seiner enthusiastischen Verteidigung des guten alten Buches betonte, dass Politik nur Mittel zum Zweck sei, nahmen sicherlich nicht alle ihm diese Beteuerung ab. Wenn es schon dem kleinen Menschen oft schwerfällt, warum soll es den Großkopfigen anders gehen. Manchmal erinnert uns auch die Architektur daran, dass wir alle kleine Wesen unter den gleichen Gestirnen sind. Ich finde, dass es bei dem Schnappschuss von Barroso vor der Kampagnengrafik New Narrative for Europe und unter dem Konzertsaal-Himmelszelt sichtbar wird. 

2014/06/30

Familienpolitik – auch in der EU ein Thema

Handzettel Diskussion »Kann Kirche Familienpolitik« (c) region-c.de
Bei einer Diskussion zum Thema »Kann Kirche Familienpolitik« vor etwas mehr als drei Wochen (siehe Handzettel-Datei) thematisierte Sven Iversen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF), auch seine Arbeit für COFACE (Confederation of Family Organisations in the European Union, ein Zusammenschluss der Familienorganisationen in der Europäischen Union, http://www.coface-eu.org).

Da im Allgemeinen Europapolitik nicht mit Familienpolitik assoziiert wird (nicht immer zu Recht, siehe dia-eu.blogspot.com/2014/02), seien einige der andiskutierten Punkte hier aufgeführt:

Vor dem Hintergrund der enormen Mobilisierung in Frankreich rund um das Thema »Homo-Ehe« und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare wies Iversen darauf hin, dass in Deutschland die familienpolitischen Positionen der beiden großen Kirchen und der nicht-konfessionellen Familienverbände im europäischen Vergleich recht nah beieinander seien. Innerhalb von COFACE stellten sich die deutschen Mitglieder insgesamt eher als liberal-progressiv dar. Während der Hochzeit der Auseinandersetzung in Frankreich konservative französische Mitglieder ihren Gegnern in der öffentlichen Debatte innerhalb (!) der COFACE unversöhnlich gegenüber gestanden hätten.

Im gleichen Atemzug lobte der Geschäftsführer der AGF allerdings auch die generelle Familienpolitik in Frankreich - die französischen Regierungen hätten Vieles richtig gemacht, was in Deutschland nun erst langsam vom Denken in das Handeln übergehen würde. In meinen Augen ein entscheidender Hinweis: Es ist das eine, eine gleichberechtigte Familienpolitik auch auf europäischer Ebene voranzutreiben und etwas anderes, wie sich die Europäer dann sozialwissenschaftlich erfassbar verhalten. Und ich schreibe jetzt ganz bewusst »die Europäer«.

2014/02/28

Jürgen Liminski, europäische Bürgerinitiativen und Familienpolitik

Zwei europäische Bürgerinitiativen sind bisher erfolgreich im Erfüllen der Anforderungen des Lissaboner Vertragswerks gewesen. Mit englischen Zahlen-Wort-Spielen kann man sie als »1ofUs« und »Right2Water« beschreiben, im Deutschen etwas unaufgeregter als »Einer von uns« und »Recht auf Wasser«.
Bildschirmdruck der Seite der EU, welche die abgeschlossenen Bürgerinitiativen sammelt. (Stand: 28.2.2014; http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/initiatives//finalised/submitted)

Right2Water war die erste Initiative, die mehr als EINE Million Unterstützer-Stimmen aus mindestens sieben Mitgliedsstaaten der EU gesammelt hat. 1ofUs hingegen kann als erste europäische Bürgerinitiative gelten, die mehr als ZWEI Millionen Unterschriften gesammelt hat.
Das bringt mich zu der Frage, die mir schon länger unter den Nägeln brennt: Gibt eine solche geballte Kampagnen-Kraft einer Abtreibungsgegner-Initiative Jürgen Liminski – einschlägig bekanntem Moderator des Deutschlandfunks (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07054.pdf, insbesondere S. 14) – das Recht, zweimal seinen Bruder im Geiste, den Politikwissenschaftler Tobias Teuscher, zu »interviewen«?
Einmal im letzten Jahr zur Unterschriften-Sammelaktion (http://www.deutschlandfunk.de/teuscher-initiative-einer-von-uns-wird-in-bruessel-ernst.694.de.html?dram:article_id=263386&dram:audio_id=223500&dram:play=1)
und dann noch einmal im letzten Monat zur vermeintlich skandalösen Einmischung der EU in familienpolitische Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten (http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2014/01/12/dlf_20140112_1317_f62160dd.mp3). Für mich ist bei beiden Beiträgen deutlich geworden, dass es nicht um Information oder kritische Auseinandersetzung mit dem Thema geht, sondern der Journalist Liminski selbst eine ganz klare Agenda verfolgt. Warum das im öffentlich-rechtlichen Rundfunk möglich ist, erschließt sich mir nicht.
Nach dieser virtuellen Zornesfalte im Gesicht nun zurück zum Thema Bürgerinitiativen, Unterschriften und Referenden. Auf den unter der EU-Ebene befindlichen Entitäten kann es durchaus Instrumente geben, die davon profitieren, dass als nächstes europäisches Großereignis die Europawahlen anstehen. In Berlin beispielsweise wird die Abstimmung über die Bebauung des ehemaligen Flugfeldes Tempelhof am 25. Mai durchgeführt. Darauf komme ich in einem der nächsten Beiträge zurück.

2013/12/27

EU-Siegel und europäische Kampagnen


Das Bio-Siegel der EU ist zumindest gemessen an der Teilnahme an der Neugestaltung 2009 und der Abstimmung über das Gewinner-Design ein ganz guter Erfolg. Immerhin wurden mit 130.000 Stimmen deutlich mehr Stimmen abgegeben als etwa im Rahmen der Konsultationen zur Verringerung des Mülls durch Plastiktüten (15.500).
Genese des EU-Bio-Siegels: http://ec.europa.eu/agriculture/organic/eu-policy/logo_de
Auch im Handel läuft es einem recht häufig über den Weg und ist nicht nur auf Produkten von erfolgreichen hessischen Naturkaufmännern zu finden, sondern auch auf französischem Biowein und vielem mehr. Andere Bereiche sind da weniger mit europäischen Kampagnen gesegnet. Der Verein Fairtrade Labelling Organizations, dessen grün-blau-schwarzes Winke-Siegel man zum Beispiel aus Eine-Welt-Läden kennt, führt als nationale Fairtrade-Organisationen immerhin Folgendes auf:

  • Belgien: Max Havelaar Belgium
  • Dänemark: Fairtrade Mærket Danmark
  • Estland: Fairtrade Estonia
  • Finnland: Fairtrade Finland
  • Frankreich: Max Havelaar France
  • Deutschland: Fairtrade Deutschland (dahinter steht TransFair – Verein zur Förderung des Fairen Handels mit der »Dritten Welt« e.V.)
  • Irland: Fairtrade Mark Ireland
  • Italien: Fairtrade TransFair Italy
  • Lettland: Fairtrade Latvia
  • Litauen: Fairtrade Lithuania
  • Luxemburg: Fairtrade Lëtzebuerg
  • Niederlande: Stichting Max Havelaar Netherland
  • Norwegen: Fairtrade Max Havelaar Norway
  • Österreich: Fairtrade Austria
  • Portugal & Spanien: Fairtrade Ibérica
  • Schweden: Fairtrade Sweden
  • Schweiz: Fairtrade Max Havelaar Switzerland
  • Tschechische Republik: Fairtrade Czech Republic (als Marketing-Organisation gelistet)
  • Vereinigtes Königreich: The Fairtrade Foundation
Nichtsdestoweniger zeigt sich hier in meinen Augen eine Akzentuierung des eigenen, europäischen Wohlergehens (gesunde Bioprodukte müssen mit europäischer Gesetzgebung sichergestellt werden) gegenüber dem Wohlergehen der anderen, außereuropäischen Menschen, die Produkte herstellen/anbauen (faire Handelsbeziehungen und Nachhaltigkeit können von privaten Organisationen sichergestellt werden). Im nächsten Beitrag Anfang 2014 dazu mehr.

2013/08/26

Nachdenken über die deutsche Dominanz in Europa

Seit dem 1. März 2013 gibt es das Debattenportal europa.deutschlandfunk.de. Es soll die verschiedenen Sendungen des Deutschlandfunks zum Themenkomplex im Netz bündeln. Falls möglich, sollte man in Zukunft vielleicht auch auf die Beiträge des Schwesterprogramms Deutschlandradio Kultur verweisen. Gut gemacht war beispielsweise die Sendung »Der Champion Deutschland« (15. Juli 2013; http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/zeitfragen/2178093/). Ein wenig störend erschien nur, dass Sendungsteile sehr an die viel beachtete Titelgeschichte der Wirtschaftszeitung »The Economist« vom Juni 2013 erinnerten (http://www.economist.com/news/special-report/21579140-germany-now-dominant-country-europe-needs-rethink-way-it-sees-itself-and). Aber das nur nebenbei. Seit dem 19. August 2013 wird auf dem Portal die Frage »Führungsmacht Deutschland?« zur Debatte gestellt. Dabei verfährt man nach dem beliebten Kaleidoskop-Prinzip und zeigt eine polnische, eine französische, eine griechische, eine britische und schließlich eine schweizerische Perspektive. Der französische Blick mit dem Fokus auf die europäische Außen- und Sicherheitspolitik ist in meinen Augen interessant, da er sich in großem Maße auf das »Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen in Paris« stützt.
Was sagt nun der befragte Experte, Hans Stark, zum Thema der deutschen Dominanz und was wäre eventuell zu der von ihm vertretenen Einrichtung zu ergänzen? Leider ist das Telefoninterview nicht im Text auf der Seite wiedergegeben, am eindrücklichsten finde ich die Formulierung:
Deutschland dominiert über seine wirtschaftlichen und finanzpolitischen Trümpfe, während Frankreich bei Weitem nicht mehr in der Lage ist, in der Sicherheits- und in der Verteidigungspolitik die Rolle zu spielen, die es in der Vergangenheit gespielt hat – während des Kalten Kriegs, aber auch noch in den neunziger Jahren.
Der Beitrag verweist bezüglich des Komitees auf die Seite des 50. Jubiläums des Élysée-Vertrags (siehe auch Blog-Beitrag 01/2013; dia-eu.blogspot.com/2013/01), auf der man bereits einiges erfährt: Das Komitee ist im Institut français des relations internationales (IFRI) angesiedelt, es wurde nach einem Regierungsabkommen 1954 eingerichtet.
Das IFRI-Logo im Zeitenlauf – (c) dia-eu
Als Zusatzinformation wäre noch zu ergänzen: Das IFRI wurde 1979 erst vergleichsweise spät aus einer Vorgängerinstitution, dem Centré d’études de politique étrangère (CEPE), nach dem Vorbild US-amerikanischer »think tanks« neu »aufgestellt«, wie man heute sagt. Hans Stark übernahm bereits in den 1990er Jahren die Leitung des Komitees innerhalb der Gesamtstruktur des IFRI, nachdem der langjährige Direktor Walter Schütze in Pension gegangen war.
Der »Zweite Kalte Krieg« und die 1990er Jahre sind sicherlich keine »goldenen Zeitalter«, aber in dem kritischen Nachdenken über die mögliche deutsche Dominanz liegt immer auch eine Wehmut über europapolitisch anders gelagerte Situationen der Vergangenheit. Die Herausforderung ist aber das Jetzt und es verwundert nicht, dass bis zur Bundestagswahl am 22. September 2013 viele Menschen in Europa mit einem unguten Magengefühl auf Deutschland schauen.

2013/03/16

Steinbrück und »eine ökonomische raison d’être«

Beim Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück ist die erste Assoziation in Sachen Politikfeld zumeist Finanzen. Der erste Gedanke muss nicht immer der falsche sein. Anlässlich einer Fachtagung der SPD-Bundestagsfraktion unter dem Titel »Herausforderungen einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur« machte Steinbrück am 13.3.2013 darauf aufmerksam, dass für Europa innerer und äußerer Friede eng zusammengehöre. Nach einer persönlich gefärbten, historischen Einleitung über die Errungenschaften europäischer Integration schien sich der Hanseat beim Friedensnobelpreis für die Europäische Union nicht so ganz sicher: Einerseits stellte er die Frage, warum erst jetzt das Komitee diese Wahl getroffen habe, andererseits brauchten seiner Meinung nach die EU-Länder gerade jetzt Bestärkung.
Auch bei dem grundsätzlichen Tenor der Rede fiel es mir nicht ganz leicht, eine klare Linie des Kanzlerkandidaten zu erkennen. Auf der einen Seite wandte er sich historisch aus meiner Sicht richtig dagegen, nur »eine ökonomische raison d’être« für das europäische Projekt anzunehmen (ungefähr 1:00). Auf der anderen Seite argumentierte der Sozialdemokrat ganz sozialdemokratisch immer wieder für eine Solidarität. Allerdings mit handfesten ökonomischen Argumenten – wie beispielsweise der deutschen Handelsbilanz.
 
Videoausschnitt Peer Steinbrück SPD-Fachtagung 13.3.2013 – (c) dia-eu 

Angesichts des Themas der Fachtagung hatten wohl viele auf mehr Auswärtiges und Sicherheitsarchitektonisches gehofft, zum Schluss ließ sich der Reserveoffizier der Bundeswehr noch auf einige Gedankenspiele zu einer zukünftigen Ostsee-Marine oder gar einer Europaarmee ein. Das eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 gescheitert ist, musste man in diesem Zusammenhang wahrlich nicht erwähnen. Die Einlassungen zur engen Verbindung von zukünftigem sozialen Frieden in Europa und Friedensmacht Europa in der Welt waren für mich allerdings aufschlußreicher – ähnliche Gedanken, wie ich sie bereits im Zuge der Nobelpreis-Diskussion geäußert habe.



2012/12/27

Einmal Europapolitik, dann lieber Reiseführer

Aggro ICE - (c) ELE
Aggro ICE - (c) ELE
Nach der üblichen Preiserhöhung der Deutschen Bahn sitzt halb Deutschland Ende des Jahres gern in deren Fernzügen. In denen liegt auch »mobil. Das Magazin der Deutschen Bahn« aus. Dieses Jahr hatte ich es gleich mit zwei persönlichen Exemplaren zum Mitnehmen zu tun. Während die Titelgeschichte der Ausgabe 12.2013 mit dem Engagement des Nationalfußballers Philipp Lahm für die europäische Integration sich geradezu in die Tiefen europäischer Tagespolitik wagte, kam das offensichtlich nicht gut an, denn Ausgabe 01.2013 war in dieser Hinsicht wieder bedeutend herkömmlicher. Das Heft, was bereits vor Anbruch des Neuen Jahres an Bord der Züge mit dem Portrait des Schauspielers Axel Milberg um die Gunst der Jahresend-Menschen buhlte, hatte weniger offensichtlich nämlich auch eine europapolitische Geschichte zu erzählen, beziehungsweise eben nicht zu erzählen. Auf den Seiten 44 bis 50 geht es nämlich um Budapest, Hauptstadt Ungarns, vor nicht allzu langer Zeit Land mit dem Ratsvorsitz in der Europäischen Union. An Informationen findet sich neben pittoresken Fotos einiges zu Flódnis (»traditionelles jüdisches Schichtgebäck aus Äpfeln, Mohn und Walnüssen«), Kaffeehäusern und der denkmalgeschützten Zentralen Markthalle.

Ich atme fast hörbar für andere Mitreisende auf, als in der Reportage ein Lehrer aus England auftaucht, der »seiner Klasse ein paar Fakten« beibringt. Doch leider geht es zwar um das ungarische Paralament, aber letztlich erfährt der oder die persönlich von der Deutschen Bahn Beschenkte nur, dass sein Gebäude sich architektonisch am Westminster Palace orientiert. Was polititsch in Ungarn los war und ist, darüber schweigt sich das Magazin leider aus. Ist schon klar, dass Feinheiten zu ungarischer Innenpolitik, Ungarns Geschichte im 20. Jahrhundert oder zu Sanktionsmechanismen und ihren Grenzen in der gegenwärtigen Europäischen Union nicht in einen Reisebericht gehören. Einen Hinweis auf die europapolitische Herausforderung, die die aktuelle ungarische Parlamentsmehrheit und Regierung darstellt, hätte in Kontinuität zur Titelgeschichte des vorangegangenen Heftes allerdings auch nicht geschadet. Schon ein wenig eigenartig, dass »mobil« 12.2012 die Fahne europäischer Völkerverständigung hochhält und die Ausgabe 01.2013 zur Unabhängigkeit von Justiz und Medien im Staat des ehemaligen Gulaschkommunismus nichts zu sagen hat. Klar ist Budapest nicht mit der Regierung in Budapest gleichzusetzen, aber selbst im Internet bleibt das Magazin offenkundig bei süßlich Unverfänglichem: »Sweet Budapest: Eine Bildergalerie und ein Rezept für Esterhazy-Torte finden Sie auf dbmobil.de«

2012/11/30

Friedensnobelpreis und Ungleichheit

Die Friedensnobelpreisträgerin 2012 ist schon wieder mit ganz anderen Nachrichten in den Schlagzeilen. Der Friedensnobelpreisträger 2009 war zwar in diesem Monat in aller Munde, kaum jemand hat jedoch an diese Auszeichnung Obamas erinnert, wichtiger ist die Nachwahlherausforderung mit der schönen Überschrift »fiscal cliff«. Nun ist das mit dem Frieden so eine Sache. Ein anderer Nobelpreisträger – der Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz – war nämlich mit Analysen, wie Ungleichheit Gesellschaft im Sinne von Unfrieden teuer zu stehen kommt, in Deutschland erfolgreich »auf Tour«.
Überhaupt scheint die gute alte Ungleichheit wieder ein zugkräftiges Thema zu sein. Wie man liest, erscheint im Frühjahr voraussichtlich ein neues Opus von Hans-Ulrich Wehler in der »Beck’schen Reihe« dazu. In meinen Augen liegt in dem Thema zugleich die Aufgabe für die Friedensnobelpreisträgerin dieses Jahres – schon in den ersten Reaktionen nach der Bekanntgabe der Entscheidung unterstrichen die Kommentatorinnen und Kommentatoren, dass das nicht eingehaltene Versprechen des gesellschaftlichen Zusammenwachsens in Europa eine Bürde für die Zukunft sei. Es bleibt trotz der Jugoslawienkriege der 1990er Jahre eine preiswürdige Leistung, viele »Erbfeindschaften« des Kontinents scheinbar ad acta gelegt zu haben. Wenn der äußere Frieden jedoch mit innerem Unfrieden einhergehen wird, ist die Frage zu stellen, ob die EU sich wirklich um den Frieden verdient gemacht hat.

2012/09/27

Wissenschaft – es ist eine Menschensache!

Vor einiger Zeit geisterte eine Diskussion um ein peinliches Werbevideo der EU durch die Medien. Die Aufmerksamkeit liegt derzeit verständlicherweise bei anderen »Internetvideo-Debatten«, dennoch lohnt sich ein zweiter Blick mit etwas zeitlichem Abstand. Was war geschehen? Kommentare echauffierten sich zu Recht über ein klischeetriefendes Videofilmchen. Die EU-Kommission hatte es für 102.000 € (http://science-girl-thing.eu/files/about/about-science-girl-thing-en.pdf) in Auftrag gegeben, um Wissenschaft attraktiver, weniger männlich dominiert zu präsentieren. Im Nachhinein fragte ein süddeutsche.de-Kommentar entgeistert, mit welcher Brille die beauftragte Agentur wohl an ihren Job herangegangen sei (http://www.sueddeutsche.de/bildung/missglueckte-eu-kampagne-mit-minirock-und-high-heels-ins-labor-1.1394628-2?commentCount=11&commentspage=1#kommentar1687354). Die Schaltzentrale in Brüssel zog daraufhin die Reißleine, nahm das Video von ihrer Seite und warf die Twitter-Maschine an, um unter #realwomeninscience die Debatte in ein ruhigeres Fahrwasser zu lenken.
Fazit: Erstens ist die Krisen-PR der Verantwortlichen aufschlussreich – da wird mit einem Hashtag bei einer US-amerikanischen Mikroblog-Firma und einem dürren PDF-Schreiben versucht, der Diskussion den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zweitens weisen die kritischen Kommentare bereits in die richtige Richtung. Im europäischen Entscheidungszentrum scheint es weiterhin eine altmodisch strenge Trennung zwischen »science« & »humanities« zu geben und darüber hinaus ein angestaubtes Repertoire an Stereotypen, was Chancengleichheitsprobleme sind und wie man damit umgehen sollte. Es ist löblich, sich der »Geschichten einiger der Heldinnen europäischer Wissenschaft« bewusst zu werden (Seite 5 in der PDF-Version der Sammlung unter http://ec.europa.eu/research/audio/women-in-science/pdf/wis_en.pdf#view=fit&pagemode=none). Dabei darf die EU trotz schicker und teurer Kampagnen aber nicht übersehen, dass nicht nur »girls«, sondern überhaupt verschiedene Menschen der Wissenschaft in Europa gut tun würden. Und ich meine jetzt nicht nur »science«.


2012/08/27

Tempelhof Airport – the European Grandmaster of Noise

Especially for global p(l)ayers, the former airport in Berlin-Tempelhof seems to have a fascination going way beyond practical aspects. Newest example: »Campus Party™ – Europe in Berlin« with its main actors Telefonica | O2 and the European Commission. The weather was not the best during the time span 21st to 26th of August and – even worse – the airplane hangars provide for horrible acoustics if there are as many stages as in this case. This holds true even though or precisely because not all seats were in use in front of every stage. Tempelhof seems to have enough tech-appeal to be the place for hackers, bloggers and wannabes (like me).
The panel I discuss here had the interesting title »Tools and Strategies to hack the European Union«. Noteworthy on a stage paid for in part by the European Commission, that is. Discussiants were Sandra Mamitzsch (Digitale Gesellschaft e. V.) and Katarzyna Szymielewicz (Panoptykon), both active in the umbrella organization EDRI (European Digital Rights). Of course, the panel seemed a little hyped by the vote against the ACTA treaty. Katarzyna Szymielewicz, who is also a member of the EDRI Board, started the panel with a »commercial« for EDRI and its main issues.
Even though there was a serious effort by both discussants to not talk too much about ACTA, the issue came back in the game when they went into the campaigning challenges. The easy aspect of the European Parliaments vote was in the view of both activists that it was just necessary to get the Members of Parliament to vote against the proposed regulation. Understandably, it is much more difficult to bring forward an initiative, e. g. for a reformed copyright.
At this future-oriented part of the discussion the mentioned Tempelhof atmosphere was taking its toll more and more. As Katarzyna Szymielewicz was explaining why »self regulation« in the Internet sector does not always work in a good way, the noise on the main stage just a few meters away reached crisis level. The »hacking attempt« against the European Union had to be aborted. By the way, on the main stage Neelie Kroes, the European Commissioner for Digital Agenda, was enjoying the acoustic aura.

2012/07/18

Gedanken zum ehemaligen Rankeplatz

Vor einem Monat wurde der umgestaltete Rankeplatz in Berlin-Charlottenburg in Friedrich-Hollaender-Platz umbenannt. Ein paar Gedanken zu Leopold von Ranke, einem anderen »Holländer« und einer europäischen Perspektive auf das Ganze passen gut zum ersten Monatsjubiläum. Und das unabhängig davon, ob der »neue Rankeplatz« nun »nicht allen« gefällt (wie Der Tagesspiegel in einem Artikel im Berlin-Ressort meint). Der Historiker Ranke gilt vermutlich weder als »großer Europäer« noch als Hollandspezialist. Wie dem auch sei, seine Ideen tauchen sowohl in der europäisch vielbeschworenen »Einheit in der Vielfalt« als auch in aktueller Geschichtsschreibung auf.
Das Motto der Europäischen Union lautet: »In Vielfalt geeint«. Übertragen ins 19. Jahrhundert könnte man von einer positiven Betrachtung einer europäischen »Harmonie« sprechen, welche aus »Sonderung und reiner Ausbildung« der »Staaten« und »Nationen« entsteht (so Ranke im Schlusswort des bekannten Aufsatzes »Die großen Mächte« aus der Historisch-Politischen Zeitschrift, Bd. 2, 1833). Große Mächte, dazu zählten nicht: Holland beziehungsweise die Niederlande. Dennoch war die Entstehung der Niederlande im 16. Jahrhundert für Ranke aus seiner Bejahung europäischer Vielfalt heraus wichtig. Beim »Aufstande der Niederlande« fokussierte der Historiker sehr auf einen »Holländer«, der einem weiteren Platz in Berlin-Kreuzberg seinen Namen gegeben hat. Der Konflikt zwischen den niederländischen Provinzen und Spanien erscheint als Kampf Davids gegen Goliath.
Dieser Krieg geht bei Ranke fast zugunsten des vereinheitlichenden iberischen Machtmolochs aus, als ein »großer Mann« am 10. Juli 1584 starb: »Nachdem der Prinz von Oranien ermordet worden war, gewann das katholische Princip wieder die Oberhand, und das neu begründete spanische Element drang nun mit Gewalt in die belgischen Provinzen vor.« (Leopold von Ranke, Weltgeschichte. Neunter Theil, zweite Abtheilung. Ueber die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern gehalten. Hrsg. von Alfred Dove. Duncker & Humblot, Leipzig 1888, S. 148). Am Ende heißt es aber: »Ende gut, alles gut«. Spanien musste schließlich die Unabhängigkeit der Niederlande anerkennen. Nun war der »Prinz von Oranien« nicht nur Begründer des holländischen, pardon, niederländischen quasi-monarchischen Fürstenhauses. Er ist mit diesem Titel auch einer derjenigen, die einem einfallen, wenn man am Oranienplatz unterwegs ist. Oranienplatz und ehemaliger Rankeplatz haben eines gemeinsam – die entsprechende Straße wurde nicht vergessen. So bleiben ein vielleicht doch recht »europäischer« Historiker und sein liebster »Holländer« dem Berliner Straßenlexikon erhalten.