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2015/03/27

Effizienz, Wettbewerb und europäische Förderpolitik

Einerseits steht das Jahr 2015 aus der Sicht europäischer Förderpolitik unter dem Eindruck eines Investitionsprogramms für Europa. Die Kommission hat dieses Programm als eines der Projekte für 2005 definiert (siehe dia-eu.blogspot.com/2015/02). Andererseits ist das Jahr 2015 auch das erste in der Förderperiode 2014 bis 2020, in der voll zum Tragen kommen wird, dass Effizienz als eines der EU-Schlagworte noch an Bedeutung hinzugewonnen hat. Wie wirkt sich das im Hinblick auf Programme zum Beispiel in Deutschland aus?
ESF prangt in Berlin auf Flyern, Jutebeuteln, Bürotüren... | (c) dia-eu
Erstes Beispiel – Berlin: Beim Europäischen Sozialfonds geht es nach der Sprachregelung der Kommission um Investitionen in »die Menschen Europas«. Mehr als bisher soll dabei der Erfolg von Maßnahmen nachgewiesen werden. Verbindliche Erfolgsindikatoren heißt die Devise. Mit weniger Geld (in Berlin 215 Millionen Euro von 2014 bis 2020 statt 336 Millionen Euro von 2007 bis 2013) mehr erreichen, das ist die Idee. In Berlin soll deshalb eine Einrichtung in Zukunft Verwaltungsaufgaben im Rahmen des Fonds zentral durchführen und damit Abläufe erleichtern. Außerdem soll drohender Sanktionierung von Projekten mit Bescheinigungen von anerkannten Institutionen für Teilnehmende entgegengetreten werden – die Frage bleibt, ob nicht Maßnahmen mehr und mehr »zum Schein« durchgeführt werden.
Zweites Beispiel – Brandenburg: In der Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit der verschiedenen europäischen Fonds geht Brandenburg den Weg des Wettbewerbs. Neben Effizienz ist Wettbewerb ja seit jeher ein Leitthema der europäischen Einigung. Im konkreten Fall können sich Kommunen zusammenschließen, um gemeinsam eine Strategie für den »Stadt-Umland-Wettbewerb« einzureichen. Es soll um die Themen gehen, die gerade in der ländlichen Entwicklung in aller Munde sind: Mobilität, Umweltschutz und Nachhaltigkeit, Wirtschaft und Tourismus. Immerhin 213 Millionen Euro stellen die Brandenburger Vergabestellen aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung, aus dem Europäischen Sozialfonds und dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums für diesen Wettbewerb zur Verfügung. Auffällig, dass Brandenburg für einen Wettbewerb Gelder in einer gleichen Größenordnung zur Verfügung stellt, wie sie in Berlin insgesamt im Rahmen des Europäischen Sozialfonds in »­die Menschen Europas« investiert.

2013/03/16

Steinbrück und »eine ökonomische raison d’être«

Beim Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück ist die erste Assoziation in Sachen Politikfeld zumeist Finanzen. Der erste Gedanke muss nicht immer der falsche sein. Anlässlich einer Fachtagung der SPD-Bundestagsfraktion unter dem Titel »Herausforderungen einer gemeinsamen europäischen Sicherheitsarchitektur« machte Steinbrück am 13.3.2013 darauf aufmerksam, dass für Europa innerer und äußerer Friede eng zusammengehöre. Nach einer persönlich gefärbten, historischen Einleitung über die Errungenschaften europäischer Integration schien sich der Hanseat beim Friedensnobelpreis für die Europäische Union nicht so ganz sicher: Einerseits stellte er die Frage, warum erst jetzt das Komitee diese Wahl getroffen habe, andererseits brauchten seiner Meinung nach die EU-Länder gerade jetzt Bestärkung.
Auch bei dem grundsätzlichen Tenor der Rede fiel es mir nicht ganz leicht, eine klare Linie des Kanzlerkandidaten zu erkennen. Auf der einen Seite wandte er sich historisch aus meiner Sicht richtig dagegen, nur »eine ökonomische raison d’être« für das europäische Projekt anzunehmen (ungefähr 1:00). Auf der anderen Seite argumentierte der Sozialdemokrat ganz sozialdemokratisch immer wieder für eine Solidarität. Allerdings mit handfesten ökonomischen Argumenten – wie beispielsweise der deutschen Handelsbilanz.
 
Videoausschnitt Peer Steinbrück SPD-Fachtagung 13.3.2013 – (c) dia-eu 

Angesichts des Themas der Fachtagung hatten wohl viele auf mehr Auswärtiges und Sicherheitsarchitektonisches gehofft, zum Schluss ließ sich der Reserveoffizier der Bundeswehr noch auf einige Gedankenspiele zu einer zukünftigen Ostsee-Marine oder gar einer Europaarmee ein. Das eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1954 gescheitert ist, musste man in diesem Zusammenhang wahrlich nicht erwähnen. Die Einlassungen zur engen Verbindung von zukünftigem sozialen Frieden in Europa und Friedensmacht Europa in der Welt waren für mich allerdings aufschlußreicher – ähnliche Gedanken, wie ich sie bereits im Zuge der Nobelpreis-Diskussion geäußert habe.



2012/10/07

Perspektiven auf ein dunkles Europa

Auf Empfehlung ist in diesem Blog-Beitrag von zwei Romanen des deutschen Autors Wolfram Fleischhauer die Rede, in denen in meinen Augen ein »dunkles Europa« eine Rolle spielt. Gut zu wissen, dass Fleischhauer (Jahrgang 1961) Erfahrung als Konferenzdolmetscher in Brüssel hat. Offensichtlich haben es ihm dabei vor allem Französisch und Englisch angetan. Der erste Roman, in dem Französisch gefragt ist, »Die Frau mit den Regenhänden« entführt einen in zwei Zeitebenen. Ort ist jeweils Paris, die »Stadt des Lichts«. Warum dann von einem »dunklen Europa« fabulieren?

Die erste Zeitebene führt kurz vor die Zeit des deutsch-französischen Krieges von 1870/71, die zweite in den Anfang der 1990er Jahre, eine Zeit in der sich die »Nachbarn am Rhein« (Hartmut Kaelble) neu in einer Welt »après-guerre-froide« zurechtfinden mussten. Mitreißend erzählt Fleischhauer, wie eine gerichtliche Ermittlung im 19.-Jahrhundert-Paris immer größere Kreise zieht – als Hauptstadt von Frankreich und als Ort der Weltausstellung erscheint die Stadt zunächst übermächtig glänzend. Doch es liegen bereits lange Schatten auf dem Zweiten Kaiserreich, am Ende zitiert der Autor die Kaiserin: »In keinem Land, so bemerkte sie, sei der Abstand zwischen Erhabenheit und Lächerlichkeit so gering.« (S. 480) Während diese Kriminalgeschichte um einen vermeintlich »alltäglichen« Kindesmord immer rasanter vorwärtsgeht, wird klar, dass sie eine Geschichte in der Geschichte ist. Anfang der 1990er Jahre begegnet ein deutscher Doktorand in einem Lesesaal einer rätselhaften Französin, die den Skandal im Schatten der Pariser Weltausstellung wie besessen recherchiert. Hier setzt Fleischhauer vor allem auf die Liebesgeschichte, deren Ausgang und ebenfalls dunkle Hintergründe hier nicht verraten werden sollen. Dennoch kommt die Vergangenheit wieder zum Vorschein, wenn eine Vertraute der Französin den Doktorarbeits-Geplagten direkt angeht: »›Warum studiert ein Deutscher französische Geschichte?‹« (S. 405)
 Eine gute Frage, die ich aus eigenen, ähnlichen intellektuellen Entwicklungslinien vielleicht noch um die Frage erweitern würde: Warum studiert ein Deutscher europäische Geschichte? Meine Antwort 2012, circa zwei Jahre vor einem runden Jahrestag eines Kristallisationspunktes des dunklen Europas, von dem die Rede ist: Weil es nicht ausreicht, die vermeintlich eigene Perspektive zu kennen.
Im zweiten Roman von Fleischhauer, »Schule der Lügen«, geht es wieder scheinbar um keinerlei europäische Katastrophen. Erneut steht ein Ort im Mittelpunkt, Berlin, wobei es mehr Nebenschauplätze gibt, einen Adelssitz bei Hamburg, das koloniale Indien, das Zentrum des britischen Weltreichs London (daher geht es sprachlich hier mehr um das Englische) … Dafür steht eine Zeitebene im Mittelpunkt, die Mitte der 1920er Jahre. Wiederum geht es mit nervenaufreibender Spannung um politische Machenschaften und Liebesverwicklungen, die sich hier mit einer deutschen Oberklasse-Familiengeschichte verbinden. Edgar Falckenbeck-von Rabov, Erbe eines Hamburgischen Industriellen, kommt den dunklen Flecken auf seinem bis dato glänzenden Familienstammbaums auf die Spur. Dabei sei nur am Rande ein wenig genealogische Rechthaberei erlaubt. Der von Edgar im Zuge seiner Recherchen skizzierte Stammbaum seiner beiden Familienzweige (S. 141) weist für die Nachkommen des verfehmten, nach England gegangenen Onkels zwei Söhne und eine Tochter auf, während zwei Töchter und ein Sohn (z. B. S. 126) richtig ist. Wichtiger ist aber auch hier der Hintergrund der Geschichte, den beispielsweise der ausgestoßene Onkel beiläufig auf den Punkt bringt, als er über den Bruch zwischen ihm und seinem Vater, dem Großindustriellen, spricht: »›[…] mein Vater war ebenso wie seine alldeutschen Freunde fest davon überzeugt, Deutschland und Österreich, das Germanenreich sozusagen, könnten es mit dem Rest der Welt aufnehmen. Nun ja, das Ergebnis kennen wir.‹« (S. 293)
Meiner Meinung nach ist das Ergebnis dieses dunklen Europas aus dem Blut von Millionen auch 2012, 98 Jahre nach »Deutschland und Österreich gegen den Rest der Welt« noch nicht abzusehen. Aber es ist notwendig, die Spuren dieser langen Geschichte nicht nur an den großen Jahrestagen im Auge zu behalten.

Wolfram Fleischhauer, Die Frau mit den Regenhänden, Taschenbuch Knaur, München 2001 [1999], 481 Seiten, 9,95 €.

Wolfram Fleischhauer, Schule der Lügen, Piper, München 2006, 523 Seiten, 22,90 € (unter dem Titel  »Die Inderin« im gleichen Verlag 2008 für 10,95 € auch als Taschenbuch erschienen).