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2014/12/18

The Sleepwalkers (Christopher Clark) and Joyeux Noël (a film by Christian Carion)

As the Christmas Movie Night in the Chapel of Europe (www.ressurection.be) was an event that drew the attention to the film Joyeux Noël, I want to share some thoughts on that movie with the book The Sleepwalkers by Christopher Clark as an intellectual background. While the film tells the story of the Christmas truce 1914, an unofficial ceasefire in World War I, Christopher Clarks tackles the question how Europe went to war in the first place.
I am especially interested how advisors in government decision making used representations of Europe to legitimize particular actions. That is why a scene in which an Anglican bishop is bringing the soldiers back on the battle track in a sermon especially struck me. When he is preaching on more or less the forces of good against the forces of evil, I see this as an example of the narrative of an righteous Europe against a dark Europe. When we look with Clark at the political culture that brought Europe’s men to this not so merry Christmas situation 1914 the question remains: Was it a crime or a tragedy (p. 561)?
In good Anglo-saxon tradition, Clark writes in vivid, capturing style and starts his story how Europe went to war with a personal story in the acknowledgments. As a nine-year-old, he talked to his great-uncle Jim (p. xvi):
I asked him whether the men who fought in the war were scared or keen to get into the fight. He replied that some were scared and some were keen. Did the keen ones fight better than the scared ones, I asked. ›No‹, said Jim ›It was the keen ones who shat themselves first.‹ I was deeply impressed by this remark and puzzled over it – especially over the word ›first‹ – for some time.
Family vase from Jerusalem | (c) dia-eu
When I read this I realized that there is only one story I can recall being told in our family on World War I. Maybe I am typically German in this respect, the stories from World War II are probably responsible for the lack of remembrance of the trenches, of the No Man’s Land and so on.
My grandfather was born in Jerusalem and there are a few items that still remind me of this unusual fact for a German. One of them is a vase ornamented with Arabian characters. A part from being a remnant of this Jerusalem early youth it also is a symbol that the family did not have the chance to take a lot of their belongings with them when they were forced to leave the city in 1917 as the »World War« did not exclude the Near and Middle East.
All of this, the Christmas truce, the World War coming to the holy city and the Australian great-uncle talking about keen and scared soldiers seem absurd and far away to me. But I admit that there are similarities between our situation today and 1914, even if I am sceptical on some of the comparisons that Clark unfolds, for example the Eurozone crisis and the pre-war insecurities (p. 555). Just like our decision makers of 1914, are we sleepwalkers today, »watchful but unseeing, haunted by dreams, yet blind to the reality« (p. 562)?

2012/10/07

Perspektiven auf ein dunkles Europa

Auf Empfehlung ist in diesem Blog-Beitrag von zwei Romanen des deutschen Autors Wolfram Fleischhauer die Rede, in denen in meinen Augen ein »dunkles Europa« eine Rolle spielt. Gut zu wissen, dass Fleischhauer (Jahrgang 1961) Erfahrung als Konferenzdolmetscher in Brüssel hat. Offensichtlich haben es ihm dabei vor allem Französisch und Englisch angetan. Der erste Roman, in dem Französisch gefragt ist, »Die Frau mit den Regenhänden« entführt einen in zwei Zeitebenen. Ort ist jeweils Paris, die »Stadt des Lichts«. Warum dann von einem »dunklen Europa« fabulieren?

Die erste Zeitebene führt kurz vor die Zeit des deutsch-französischen Krieges von 1870/71, die zweite in den Anfang der 1990er Jahre, eine Zeit in der sich die »Nachbarn am Rhein« (Hartmut Kaelble) neu in einer Welt »après-guerre-froide« zurechtfinden mussten. Mitreißend erzählt Fleischhauer, wie eine gerichtliche Ermittlung im 19.-Jahrhundert-Paris immer größere Kreise zieht – als Hauptstadt von Frankreich und als Ort der Weltausstellung erscheint die Stadt zunächst übermächtig glänzend. Doch es liegen bereits lange Schatten auf dem Zweiten Kaiserreich, am Ende zitiert der Autor die Kaiserin: »In keinem Land, so bemerkte sie, sei der Abstand zwischen Erhabenheit und Lächerlichkeit so gering.« (S. 480) Während diese Kriminalgeschichte um einen vermeintlich »alltäglichen« Kindesmord immer rasanter vorwärtsgeht, wird klar, dass sie eine Geschichte in der Geschichte ist. Anfang der 1990er Jahre begegnet ein deutscher Doktorand in einem Lesesaal einer rätselhaften Französin, die den Skandal im Schatten der Pariser Weltausstellung wie besessen recherchiert. Hier setzt Fleischhauer vor allem auf die Liebesgeschichte, deren Ausgang und ebenfalls dunkle Hintergründe hier nicht verraten werden sollen. Dennoch kommt die Vergangenheit wieder zum Vorschein, wenn eine Vertraute der Französin den Doktorarbeits-Geplagten direkt angeht: »›Warum studiert ein Deutscher französische Geschichte?‹« (S. 405)
 Eine gute Frage, die ich aus eigenen, ähnlichen intellektuellen Entwicklungslinien vielleicht noch um die Frage erweitern würde: Warum studiert ein Deutscher europäische Geschichte? Meine Antwort 2012, circa zwei Jahre vor einem runden Jahrestag eines Kristallisationspunktes des dunklen Europas, von dem die Rede ist: Weil es nicht ausreicht, die vermeintlich eigene Perspektive zu kennen.
Im zweiten Roman von Fleischhauer, »Schule der Lügen«, geht es wieder scheinbar um keinerlei europäische Katastrophen. Erneut steht ein Ort im Mittelpunkt, Berlin, wobei es mehr Nebenschauplätze gibt, einen Adelssitz bei Hamburg, das koloniale Indien, das Zentrum des britischen Weltreichs London (daher geht es sprachlich hier mehr um das Englische) … Dafür steht eine Zeitebene im Mittelpunkt, die Mitte der 1920er Jahre. Wiederum geht es mit nervenaufreibender Spannung um politische Machenschaften und Liebesverwicklungen, die sich hier mit einer deutschen Oberklasse-Familiengeschichte verbinden. Edgar Falckenbeck-von Rabov, Erbe eines Hamburgischen Industriellen, kommt den dunklen Flecken auf seinem bis dato glänzenden Familienstammbaums auf die Spur. Dabei sei nur am Rande ein wenig genealogische Rechthaberei erlaubt. Der von Edgar im Zuge seiner Recherchen skizzierte Stammbaum seiner beiden Familienzweige (S. 141) weist für die Nachkommen des verfehmten, nach England gegangenen Onkels zwei Söhne und eine Tochter auf, während zwei Töchter und ein Sohn (z. B. S. 126) richtig ist. Wichtiger ist aber auch hier der Hintergrund der Geschichte, den beispielsweise der ausgestoßene Onkel beiläufig auf den Punkt bringt, als er über den Bruch zwischen ihm und seinem Vater, dem Großindustriellen, spricht: »›[…] mein Vater war ebenso wie seine alldeutschen Freunde fest davon überzeugt, Deutschland und Österreich, das Germanenreich sozusagen, könnten es mit dem Rest der Welt aufnehmen. Nun ja, das Ergebnis kennen wir.‹« (S. 293)
Meiner Meinung nach ist das Ergebnis dieses dunklen Europas aus dem Blut von Millionen auch 2012, 98 Jahre nach »Deutschland und Österreich gegen den Rest der Welt« noch nicht abzusehen. Aber es ist notwendig, die Spuren dieser langen Geschichte nicht nur an den großen Jahrestagen im Auge zu behalten.

Wolfram Fleischhauer, Die Frau mit den Regenhänden, Taschenbuch Knaur, München 2001 [1999], 481 Seiten, 9,95 €.

Wolfram Fleischhauer, Schule der Lügen, Piper, München 2006, 523 Seiten, 22,90 € (unter dem Titel  »Die Inderin« im gleichen Verlag 2008 für 10,95 € auch als Taschenbuch erschienen).