2014/08/30

Besuch im Parlamentarium des Europa-Parlaments

Wenn man einen Wegweiser vor den Kamera-Sucher bekommt, auf dem die Entfernung nach Brüssel mit 0 km angegeben wird, dann kann es sein, dass man sich im Parlamentarium in der Hauptstadt Europas befindet.

Wegweiser-Installation im Eingangsbereich des Parlamentariums | (c) dia-eu
Das Besucherzentrum des Europäischen Parlaments befindet sich in einem Teil des leicht gigantomanischen Brüsseler Komplexes, der aus Sitzungssälen, Büros und Verwaltungseinheiten besteht. Der Gebäudeteil heißt »Willy Brandt«. Der Namensgeber hat vor den Europa-Parlamentariern deklamiert: »Es gehört uns allen, dieses Europa.« Auch im Parlamentarium sollte für alle etwas dabei sein, das hat sich das demokratischste Organ der EU einiges kosten lassen.
Was ich aus meiner persönlichen Sicht notiert habe:
  • generell betont das Besucherzentrum stark die vermeintlichen Verdienste und Guttaten des Europäischen Parlaments (das kann man sich auch vorher ausrechnen, denn wer viel investiert um sich zu präsentieren, will dann nicht ellenlange Rechnungen der Transportkosten zwischen Brüssel und Straßburg zum hundertausendsten Mal diskutieren)
  • alles ist museums-/ausstellungspädagogisch so gemacht, wie man es heute wohl macht, also multimedial, individualisiert und modular (für mich geht dabei immer ein wenig der rote Faden flöten, der Wunsch nach einem solchen ist im Ausstellungskontext vielleicht nicht mehr so zeitgemäß)
  • die verschiedenen Erzählstränge bauen auch auf Emotion und Anfassen, nachdem man einen historischen Teil passiert hat, kann man beispielsweise mit mobilen Monitorscannern auf einer riesigen Europakarte herumfahren. Hält man auf einem Eintrag auf der Karte an, sagen wir: Bremen, kann man sich ein Filmchen anschauen, welches Stadt und europäische Projekte verknüpft, im konkreten Fall den EU-Filmpreis LUX und ein teilweise in Bremen produzierter Preisträger-Film.
  • gefallen hat mir auch der Endbereich des Parlamentariums mit einem Café, einem Laden und Platz für ein wenig Wechselausstellung (derzeit: »Museum of Broken Relationships«, www.brokenships.com).
Da das Ganze kostenlos ist, lohnt sich für ein Besuch für alle, wie Willy sagen würde (wobei man am Eingang durch eine Sicherheitsschleuse hindurch muss).
Adresse & aktuelle Öffnungszeiten
Parlamentarium
Bâtiment Willy Brandt
Esplanade Solidarnosc 1980
Rue Wiertz 60
1047 Bruxelles
www.europarl.europa.eu/parlamentarium

Mo: 13-18h
Di-Fr: 9-18h
Sa-So: 10-18h

2014/07/31

CO2-Kompensationsanbieter in Europa

Als Kind habe ich mir vorgestellt, es würde in der Zukunft sehr schnelle Züge in Europa geben. Züge, die nicht im Bahnhof anhalten müssen und deren Waggons jeweils einzeln auf die Basisgeschwindigkeit beschleunigt werden. Ein Kindertraum – die Realität zeigt eher einen wachsenden Binnenflugverkehr in Europa. Was macht man also mit seinem stetig wachsenden CO₂-Fußabdruck?
2010 berichtete die Wochenzeitung »Die Zeit«, dass die von Fluggesellschaften angebotenen CO₂-Kompensationen oft nicht gängige Qualitätsstandards erfüllten (http://www.zeit.de/reisen/2010-08/co2-kompensation). Grundlage war ein Bericht von Verbraucherschützern (http://www.verbraucherfuersklima.de/cps/rde/xbcr/projektklima/kompensation-flugreisen-marktcheck-vzbv-zusammenfassung.pdf). Artikel und Bericht können nur drei Anbieter uneingeschränkt empfehlen, was auch damit zusammenhängt, dass eine Voraussetzung für die Aufnahme in die Marktanalyse war, dass die Internetseiten im deutschen Markt »vertreten« sind, indem sie beispielsweise eine deutschsprachige Seite anbieten.
Hilfreich sind bei solchem modernen Ablasshandel konkrete Beispiele. Nimmt man einen aus meiner naiven Kindersicht unnötigen Flug wie Berlin-Brüssel, gibt die erstgenannte Kompensationsseite www.arktik.de 252,50 kg CO₂ 8,30 € Kompensationskosten aus (inklusive eines sogenannten »Mindermengenaufschlags« von 3,00 €). Der Schweizer Anbieter www.myclimate.org errechnet 170 kg CO₂ und bietet dafür entweder das Portfolio myclimate für 5,00 CHF oder das Portfolio myclimate Schweiz für 15,00 CHF mit Klimaprojekten auch in der Schweiz an. Der Anbieter Atmosfair (www.atmosfair.de) mit Sitz in Berlin berechnet 6,00 € für 170 kg CO₂.
Schaut man ein wenig über den deutschen Tellerrand hinaus, dann werden bei einem britischen Anbieter, www.carbonfootprint.com, lediglich 105 kg CO₂ berechnet, auch hier gibt es allerdings eine Mindestmenge von 333 kg, die im Portfolio Clean Energy mit 3,27 € – unter dem Motto Certified Emission Reduction mit 4,14 € – zu Buche schlägt.
www.climatmundi.fr, ein französischer Anbieter, errechnet für Berlin-Brüssel 150 kg CO₂ und dies kostet 2,92 € einschließlich Steuern.
Bildschirmdruck www.atmosfair.de | (c) dia-eu
Das vorläufige Ende der Geschichte war eine Bauchentscheidung: Ich habe mich für Atmosfair entschieden und dort weitergeklickt, mein Bauchgefühl wurde mit einer Spendenmöglichkeit ohne Angabe von zusätzlichen persönlichen Daten und einer Bankverbindung bei der GLS Bank, von der ich viel halte (www.gls.de), belohnt.

2014/06/30

Familienpolitik – auch in der EU ein Thema

Handzettel Diskussion »Kann Kirche Familienpolitik« (c) region-c.de
Bei einer Diskussion zum Thema »Kann Kirche Familienpolitik« vor etwas mehr als drei Wochen (siehe Handzettel-Datei) thematisierte Sven Iversen, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familienorganisationen (AGF), auch seine Arbeit für COFACE (Confederation of Family Organisations in the European Union, ein Zusammenschluss der Familienorganisationen in der Europäischen Union, http://www.coface-eu.org).

Da im Allgemeinen Europapolitik nicht mit Familienpolitik assoziiert wird (nicht immer zu Recht, siehe dia-eu.blogspot.com/2014/02), seien einige der andiskutierten Punkte hier aufgeführt:

Vor dem Hintergrund der enormen Mobilisierung in Frankreich rund um das Thema »Homo-Ehe« und Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare wies Iversen darauf hin, dass in Deutschland die familienpolitischen Positionen der beiden großen Kirchen und der nicht-konfessionellen Familienverbände im europäischen Vergleich recht nah beieinander seien. Innerhalb von COFACE stellten sich die deutschen Mitglieder insgesamt eher als liberal-progressiv dar. Während der Hochzeit der Auseinandersetzung in Frankreich konservative französische Mitglieder ihren Gegnern in der öffentlichen Debatte innerhalb (!) der COFACE unversöhnlich gegenüber gestanden hätten.

Im gleichen Atemzug lobte der Geschäftsführer der AGF allerdings auch die generelle Familienpolitik in Frankreich - die französischen Regierungen hätten Vieles richtig gemacht, was in Deutschland nun erst langsam vom Denken in das Handeln übergehen würde. In meinen Augen ein entscheidender Hinweis: Es ist das eine, eine gleichberechtigte Familienpolitik auch auf europäischer Ebene voranzutreiben und etwas anderes, wie sich die Europäer dann sozialwissenschaftlich erfassbar verhalten. Und ich schreibe jetzt ganz bewusst »die Europäer«.

2014/05/23

Kirche im Dorf lassen oder Europa ohne Kirche lassen?

In den Niederlanden und Großbritannien wurde heute bereits ein Teil der zukünftigen Besetzung des Europäischen Parlaments gewählt - vermutlich viele Mitglieder aus dem populistischen und euroskeptischen Bereich. Bevor auch in Deutschland gewählt werden kann, lohnt es sich einmal in kirchliche Publikationen zu schauen, was diese von den zur Wahl stehenden Parteien im Hinblick auf kirchenpolitische Positionen halten. Die Zeitung Die Kirche stellt fest, dass die Kirche auf europäischer Ebene kaum eine Rolle spielt. Der Kommentator führt das auf die unterschiedlichen Traditionen von skandinavischen und deutschen staatsnahen Kirchen bis zur strengen Laizität in Frankreich zurück (http://www.die-kirche.de/artikel-details/europawahl-welche-rolle-spielt-die-kirche).
In der Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland, der aej information, wird dafür plädiert, sich in Kirche und Zivilgesellschaft für Europa und damit gegen Extremisten und Rechtspopulisten zu engagieren. Dazu solle man nicht »auf eine Einladung aus Brüssel warten«, sondern sich aus eigenem Antrieb in die Diskussionen einschalten (http://www.evangelische-jugend.de/fileadmin/user_upload/aej/Die_aej/Downloads/Publikationen/PDF-Ausgaben/aej_information_1-2014.pdf).
Europa aus Kirchensicht – (c) dia-eu
Schließlich sei noch Christ und Welt zitiert, also das, was von dem einst so stolzen Flagschiff katholischer Publizistik Rheinischer Merkur nach der Übernahme durch Die Zeit noch übrig ist. Die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland antwortet einer anonymen Zuschrift, die Europa als gegen christliche Werte gerichteten Moloch skizziert. Es sei Zeit für mehr Europa und die europäischen Kirchen sollten die europäischen Werte aus Christentum und Aufklärung aus ihren eignen Traditionen heraus verteidigen (http://www.christundwelt.de/themen/detail/artikel/mehr-europa/).
Ich kann dem nur zustimmen, wobei es gut wäre, die Kirche im Dorf zu lassen und gleichzeitig ein wenig der Kooperations-Tradition in den Prozess der europäischen Integration einzuspeisen. Also: Europa nicht ohne Kirche lassen!

2014/04/30

Kommunal, Europawahl, alles egal

Der 25. Mai 2014 scheint für »Groß und Klein« Anziehungskraft zu haben – neben aktuellen Tempelhof-Volksabstimmungs-Plakaten (siehe letzter Beitrag) hängen nun im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf auch Ankündigungen, die auf einen Bürgerentscheid zur Erhalt einer Kleingartenkolonie aufmerksam machen. Motto »Kleingärten oder Kräne«, oder so ähnlich.
Tempelhofer Feld und Raupen retten am 25.5.14 – (c) dia-eu
 Ich finde es gut, wenn die verschiedenen demokratischen Ebenen ineinandergreifen. Allerdings gibt es schon zu denken, wenn für die Kleingärtner offensichtlich die Europawahl und das spezielle kommunale Thema Schrebergärten oder Stadtumbau (stadtplanerisch auch gern als »Verdichtung« verniedlicht) gleiche Wichtigkeit haben (beides steht klein oben auf den Plakaten). Es wäre schön, wenn gerade mit den verstärkten Kompetenzen des Europäischen Parlaments durch den Lissabon-Vertrag die Wahlen nicht unter ferner liefen laufen würden.

2014/03/31

Europawahl und Synergieeffekte

Die Europawahl eignet sich offensichtlich für wahltechnische Synergieeffekte. Zum Beispiel werden in Brandenburg und Nordrhein-Westfalen die Kommunalwahlen am 25. Mai durchgeführt. Der Kölner Stadtanzeiger schreibt zu den Beweggründen, dass Politiker schon lange darauf hinarbeiten, Wahlen zu verbinden, um Kosten zu sparen und Wahlbeteiligungen zu erhöhen (http://www.ksta.de/politik/kommunal--und-europawahl-2014-zwei-abstimmungen-am-selben-tag-,15187246,24158546.html).
Nicht nur Politiker empfehlen dieses Vorgehen, auch politische Beratungsinstitute, über die ich gerade ein Buch veröffentlicht habe (http://www.steiner-verlag.de/programm/fachbuch/geschichte/mittelalter-und-neuzeit/reihen/view/titel/59972.html). Und auch das politiktheoretische Gegenstück zur elitennahen Beratung zielt auf Mobilisierungseffekte: Die Macher des Volksbegehrens »100% Tempelhofer Feld« in Berlin haben ebenfalls eine Koordination mit der Europawahl erreicht.
Das Wiesenmeer (hier im Gegenlicht 2011) – mit der Europawahl 100%ig? (c) dia-eu
Der Gegenvorschlag des SPD-geführten Senats lautet wenig einfallsreich »100% Berlin«. Ich bin gespannt, ob die Schützer des »Wiesenmeers« in Berlin mit ihrer Strategie Erfolg haben werden.

2014/02/28

Jürgen Liminski, europäische Bürgerinitiativen und Familienpolitik

Zwei europäische Bürgerinitiativen sind bisher erfolgreich im Erfüllen der Anforderungen des Lissaboner Vertragswerks gewesen. Mit englischen Zahlen-Wort-Spielen kann man sie als »1ofUs« und »Right2Water« beschreiben, im Deutschen etwas unaufgeregter als »Einer von uns« und »Recht auf Wasser«.
Bildschirmdruck der Seite der EU, welche die abgeschlossenen Bürgerinitiativen sammelt. (Stand: 28.2.2014; http://ec.europa.eu/citizens-initiative/public/initiatives//finalised/submitted)

Right2Water war die erste Initiative, die mehr als EINE Million Unterstützer-Stimmen aus mindestens sieben Mitgliedsstaaten der EU gesammelt hat. 1ofUs hingegen kann als erste europäische Bürgerinitiative gelten, die mehr als ZWEI Millionen Unterschriften gesammelt hat.
Das bringt mich zu der Frage, die mir schon länger unter den Nägeln brennt: Gibt eine solche geballte Kampagnen-Kraft einer Abtreibungsgegner-Initiative Jürgen Liminski – einschlägig bekanntem Moderator des Deutschlandfunks (http://library.fes.de/pdf-files/wiso/07054.pdf, insbesondere S. 14) – das Recht, zweimal seinen Bruder im Geiste, den Politikwissenschaftler Tobias Teuscher, zu »interviewen«?
Einmal im letzten Jahr zur Unterschriften-Sammelaktion (http://www.deutschlandfunk.de/teuscher-initiative-einer-von-uns-wird-in-bruessel-ernst.694.de.html?dram:article_id=263386&dram:audio_id=223500&dram:play=1)
und dann noch einmal im letzten Monat zur vermeintlich skandalösen Einmischung der EU in familienpolitische Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten (http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2014/01/12/dlf_20140112_1317_f62160dd.mp3). Für mich ist bei beiden Beiträgen deutlich geworden, dass es nicht um Information oder kritische Auseinandersetzung mit dem Thema geht, sondern der Journalist Liminski selbst eine ganz klare Agenda verfolgt. Warum das im öffentlich-rechtlichen Rundfunk möglich ist, erschließt sich mir nicht.
Nach dieser virtuellen Zornesfalte im Gesicht nun zurück zum Thema Bürgerinitiativen, Unterschriften und Referenden. Auf den unter der EU-Ebene befindlichen Entitäten kann es durchaus Instrumente geben, die davon profitieren, dass als nächstes europäisches Großereignis die Europawahlen anstehen. In Berlin beispielsweise wird die Abstimmung über die Bebauung des ehemaligen Flugfeldes Tempelhof am 25. Mai durchgeführt. Darauf komme ich in einem der nächsten Beiträge zurück.